Arroganz und blinder Wachstumsglaube führten zum Crash
Als die Internetbranche im Jahr 2000 zusammenbrach, war sie gerade mal sieben Jahre alt. Seitdem Tim Berners-Lee 1993 an der CERN in Genf den ersten Webbrowser entwickelte, hatte sich das ursprünglich wissenschaftlich-militärische Computer-Netzwerk zum Massenmedium entwickelt, das scheinbar unendliche Möglichkeiten bot. In einer sich aufbauenden Hysterie, die auf Enthusiasmus und Vorschusslorbeeren beruhte, überflügelten aber zunächst nur die Aktienkurse der neuen Börsenstars die der alt eingesessenen Unternehmen. Mahner, die auf unsolide Bewertungen und Prognosen hinwiesen, wurden nicht ernst genommen. Sie hätten nicht verstanden, dass im Zeitalter der New Economy neue Regeln gelten.
Der fast vollständige Kollaps der Internetbranche kann in seiner Heftigkeit durchaus mit dem aktuellen Zusammenbruch der Finanzbranche verglichen werden, auch wenn die Auswirkungen nicht ganz so weitreichend waren. Dennoch – oder gerade deshalb – lohnt sich ein genauer Blick auf die damaligen Reaktionen der Unternehmen, um daraus Lehren für die Bewältigung der aktuellen Krise ziehen zu können.
Der dot.com-Crash traf eine junge und komplett unvorbereitete Branche, die aus enthusiastischen Visionären, hoch motivierten Jungunternehmern und Investoren, aber auch aus Scharlatanen und Quereinsteigern bestand. Es herrschte Goldgräberstimmung und der Glaube, die Welt verändern zu können war allgegenwärtig, ein Absturz undenkbar. Eine gewisse Arroganz und Ignoranz waren an der Tagesordnung und verantwortlich dafür, dass keine Alternativszenarien durchgespielt und Realitäten meist viel zu spät erkannt wurden – nämlich erst dann, wenn das Unternehmen unsanft auf dem Boden der Tatsachen ankam und bankrott war.
Diese Art der Überheblichkeit spielte den Skeptikern, die unter den Web-Profiteuren gelitten hatten, in die Hand. In der Folge wurden in Unternehmen ab dem Herbst 2001 die Internetaktivitäten beschnitten, unabhängig davon, ob dies Sinn machte oder nicht. Zu groß war die Verlockung zu zeigen, dass die Internet-Branche auf Sand gebaut habe. Die Onlineaktivitäten großer Unternehmen wurden eingefroren oder eingestellt, Mitarbeiter entlassen. Selbst Unternehmen, die nach 2001 mit E-Commerce viel Geld verdienten, investierten in diesen Bereich nur noch wenig.
In der Folge wurden auch die fähigen Köpfe der New Economy in alle Richtungen versprengt. Einige wenige hatten sich aus Aktienoptionen oder Unternehmensverkäufen ein finanzielles Polster angelegt und konnten damit überwintern, die meisten mussten wohl oder übel in anderen Bereichen ihr Glück versuchen.
Es wurden wahllos Aktivitäten aufgegeben, vielversprechende Projekte und Start-ups wurden nicht finanziert eine klassische Überreaktion des Marktes. Genauso wie sich die Branche zuvor für unfehlbar gehalten hatte, wurde sie jetzt für ewig tot erklärt.
Personalmangel treibt Gehaltsspirale nach oben
Im Jahr 2004 kam der Ball langsam wieder ins Rollen, denn das Internet war aus dem Alltag der Verbraucher nicht mehr wegzudenken. Unternehmen, die der Krise getrotzt und weiter investiert hatten, profitierten. Die Internetbranche suchte nun dringend neue Mitarbeiter; viele kamen willig zurück, andere blieben für immer fern. Wie gravierend aber die Folgen einer Zwangspause sind, zeigte sich erst ab dem Jahr 2006: Die Branche hatte wieder volle Fahrt aufgenommen; stark steigende E-Commerce-Umsätze und Werbeeinnahmen sowie explodierende Web 2.0-Applikationen lieferten viel Fantasie für den Phoenixflug der Branche.
Ein erfolgreiches Internetunternehmen lebt von einem starken personellen Mittelbau, der meist aus Mitarbeitern mit drei bis fünf Jahren Erfahrung besteht. Da in den Jahren 2001 bis 2005 kaum neues Personal in die Branche geholt wurde, fehlten ihr plötzlich Tausende von Mitarbeitern. Das Personalkarussell fängt in solchen Situationen schnell an zu drehen – durch die hohe Nachfrage geht die Gehaltsspirale sehr schnell und steil nach oben.
Leider löste man das Problem durch immer schnelleres Abwerben nicht, denn jeder Kandidat riss wieder ein neues Loch, das mit einem weiteren, oft zu teuer eingekauften Mitarbeiter besetzt werden musste.
Unrentable Unternehmen auf dem Prüfstand
Als die US-Wirtschaft nun ins Wanken geriet, war schnell klar, dass dies eine starke Auswirkung auf den Werbemarkt haben würde, der nach wie vor ein zentraler Umsatzbringer für die meisten Internetunternehmen ist. Aber wieder erklärten die Verantwortlichen schnell, dass das, was für die Old Economy gelte, noch lange keine Gültigkeit im Internet habe. Man sei zuversichtlich, dass überproportional viele Werbeausgaben auf das Internet verschoben würden und man seine Position gegenüber TV und Print weiter ausbauen werde. Ein Sinken der Werbeausgaben sei ausgeschlossen, allenfalls ein reduziertes Wachstum denkbar. So zumindest der Tenor aus der Branche.
Dabei sind die Online-Werbeausgaben bereits proportional dort angekommen, wo die Nutzungsraten des Mediums liegen. Ein weiteres Wachstum wäre nur mit einer klaren Überlegenheit des Mediums zu begründen und war aufgrund stets knapper werdenden Premium-Inventars im Frühjahr 2008 zumindest im Brandingbereich schwer vorstellbar. Mittlerweile sinken die Online-Werbeausgaben in den USA und es ist durchaus denkbar, dass bei Eintreten des prognostizierten 2,5prozentigen Rückgangs des BIPs auch in Deutschland mit sinkenden Einnahmen gerechnet werden muss. In diesem Fall werden insbesondere jene bisher noch nicht profitablen Projekte und Unternehmen in Gefahr geraten, die sich auf Werbeeinnahmen zur Finanzierung verlassen. Das prominenteste Beispiel dürfte das noch lange nicht refinanzierte 100-Millionen-Euro-Projekt StudiVZ ein.
Alte Fehler nicht wiederholen
Und hier ist der Zeitpunkt, an dem wir sicherstellen müssen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. In Zeiten gebremsten Wachstums oder leichten Schrumpfens ergibt sich endlich die Chance, den Mitarbeiterstand in der Onlinebranche der Nachfrage anzupassen. Die Branche ist dem Grunde nach gesund, auch wenn es im Moment eindeutig noch ein Problem ist, mit Web 2.0 und User Generated Content Plattformen ausreichend zu Umsatz machen. Vielleicht ist ein leichter Abschwung genau der Impuls, den die Branche braucht, um Finanzierungsmodelle zu entwickeln. Denn inzwischen dürfte jedem klar sein, dass ein stumpfes „Weiter so“ nicht ans Ziel führen wird. Andererseits befriedigen Seiten wie Facebook und YouTube oder Dienste wie Twitter und Skype offensichtlich einen massenhaft vorhandenen Bedarf. Jetzt, da diese Dienste in der Mitte der Gesellschaft ankommen, werden sich andere Möglichkeiten zur Monetarisierung finden. Die early-adopters haben sich gegen vieles gesträubt, da sie sich am Mitaufbau beteiligt sahen und die Erstellung ihres Contents als Gegenleistung für die Nutzung sahen. Inzwischen sind aber der vorhandene Content und die gigantischen Netzwerkeffekte zu einem Wert an sich geworden, den nachkommende User zu zahlen bereit sein dürften.
Bis es soweit ist, darf eine momentane Schwäche nicht dazu führen, dass Konzerne ihre Onlineaktivitäten wieder eindampfen. Schon aus Selbstschutz müssen Konzernlenker sicherstellen, dass diese Bereiche nicht kurzfristigen Überreaktionen zum Opfer fallen. Das Internet allein macht nicht glücklich, es ist aber ein nicht mehr wegzudenkendes Medium – und wer glaubt, dass er die in diesen Kanal stattgefundenen Verlagerungen rückgängig machen kann, täuscht sich, denn der Nutzer hat seine Ansprüche an die Medien neu definiert und konsumiert auf grundlegend andere Weise, als dies noch vor wenigen Jahren der Fall war.
Es ist aber auch an der Zeit, die Arroganz hinsichtlich der Überlegenheit des Mediums auf Seiten der Onliner aufzugeben. Das Medium hat sich zwar als Innovationstreiber bewiesen, Print und TV zittern, und das Radio musste sich schon geschlagen geben. Dennoch können die anderen Medien in Sachen Profitabilität, Kontinuität und Professionalität vielfach noch punkten. Und auch das Internet kann künftig nicht alleine dastehen: Die Verzahnung der Medien – lange propagiert – findet bereits in rasantem Tempo statt. Wer sich heute also Feinde in anderen Mediengattungen macht, sitzt mit ihnen morgen wahrscheinlich im gleichen Boot.
Dieser Artikel ist in der Printausgabe des Adzine 01/2009 erschienen.