Er ist der Treiber des digitalen Wandels, gilt im Unternehmen als kreativer Zerstörer, der Altes über Bord wirft, um Firma, Führungskräfte und Mitarbeiter in die Zukunft zu führen. Nur: Mit dem Chief Digital Officer (CDO) weiß hierzulande kaum jemand etwas anzufangen. Nach einer aktuellen Studie des Branchenverbandes Bitkom gilt der CDO unter deutschen Firmendächern als „unbekanntes Wesen“. Gerade mal 2 % der befragten 1108 Unternehmen beschäftigen einen Digital-Häuptling – und dies auch nur ab einer Größe von mindestens 500 Mitarbeitern, darunter findet sich die für manchen außerirdisch anmutende Funktion gar nicht.
Der US-Berufsverband „CDO Club“ schätzt, dass es derzeit weltweit rund 2000 CDOs gibt. Vor allem in angelsächsischen Ländern. Hierzulande zählen zu den Vorreitern Bayer, Tui, ProSieben, Sat.1, Gruner + Jahr und Media-Saturn. Jedenfalls ist es eine überschaubare Zahl an Unternehmen, die eine entsprechende Position bereits eingerichtet hat.
Dabei gibt es kaum eine Branche, die nicht ins digitale Zeitalter geführt werden müsste. Von Industrie 4.0, Big Data und dem Internet der Dinge sprechen viele – nur was das für das eigene Unternehmen, Mitarbeiter und Führungsstrukturen bedeutet, wissen noch wenige. Job des CDOs ist es, Ideen hierfür zu entwickeln, zu transformieren, zu implementieren und zu motivieren. Denn von alleine wird sich nichts fügen. „Die Unternehmen müssen den digitalen Wandel aktiv vorantreiben und dafür klare Verantwortlichkeiten schaffen“, so Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Mit verteilten Zuständigkeiten oder Leuchtturmprojekten wird der Wandel kaum glücken: „Die Digitalisierung muss in der Unternehmensspitze verankert und zentral koordiniert werden“, betont er. Deshalb sollte es hier die Position des Chefstrategen und Transformators geben.
„Immer mehr Unternehmen erkennen, dass sie ihre Führungs- und Lenkungsgremien mit digitalen Experten verstärken müssen. Jedoch ist dies derzeit noch eher die Ausnahme als die Regel“, beobachtet auch Dwight Cribb von der gleichnamigen Hamburger Personalberatung. Praktisch jedes Geschäftsmodell werde umgewälzt, auch in eher konservativen Branchen wie dem Maschinenbau. Nicht nur, weil sich allein aus Unmengen von Sensordaten Innovationen ableiten lassen, sondern weil sich das vorher eher intransparente Geschäft durch digitale Vertriebskanäle wandele, was immense Möglichkeiten schaffe. Die gilt es zu nutzen, sonst gerät die Digitalisierung zur Bedrohung. „Daher ist es erforderlich, dass jemand im Unternehmen Möglichkeiten und Gefahren in ihrer Gesamtheit im Blick hat und die richtigen Schlüsse daraus zieht“, sagt Cribb. Und er sollte in der Lage sein, die gesamte Mannschaft auf dem Weg von der analogen in die digitale Welt mitzuziehen. Damit wird klar, dass der CDO weit mehr als ein Chief Information Officer (CIO) ist, der sich als ITler eher um die technische Umsetzung kümmert.
Von daher muss ein CDO deutlich mehr Qualifikationen mitbringen: Cribb nennt neben einem Gespür für technologische Trends, dem Verständnis für digitale Prozesse, besonders analytische und strategische Stärken sowie ausgeprägte Change-Manager-Fähigkeiten. „Außerdem sollte der CDO Branchenkonvergenzen vorhersehen können, also das Zusammenwachsen von Industrien, wie wir es gerade beim selbstfahrenden Auto am Beispiel der Internetkonzerne und Automobilhersteller erleben“, ergänzt Clemens Oertel, Geschäftsführer bei Accenture Strategy, verantwortlich für digitale Strategien. „Er muss das spezifische Risiko aufzeigen, das sein Unternehmen eingeht, wenn es sein digitales Potenzial nicht nutzt.“ Gefordert seien zudem Interesse an interdisziplinärer Arbeit und Gestaltungswille.
„Ingenieure sind für den Job gut geeignet, wenn sie die Fähigkeit besitzen, zu verstehen, wie sich technologische Entwicklungen auswirken können, wenn sie Trends aufnehmen und weiterdenken können und wenn sie Kommunikationsstärke mitbringen“, sagt Cribb. Das sieht Oertel genauso. „Ein CDO benötigt keinen bestimmten Ausbildungsgang, sondern eine bestimmte Denke, gepaart mit Managementqualitäten auf Vorstands- oder Geschäftsführungsebene.“ Ingenieure mit den genannten Skills hätten gute Chancen. Ideal ist, wenn angehende CDOs bereits digitale Geschäftsmodelle verantwortet und weiterentwickelt haben, vielleicht in einem Start-up. Das heißt auch: Ingenieure, die einen Bogen um BWL machen, sind weniger geeignet. Und: Neben einer mitreißenden Art und Überzeugungskraft gehört auch viel Mut und Stehvermögen zu dem Job – denn der Aufbruch ins Ungewisse will auch gegen Widerstände gestemmt werden.
Die Anforderungen an einen CDO sind üppig. Auch das ist ein Grund dafür, dass es an geeigneten Kräften mangelt. Manch Unternehmen kauft daher Interimsmanager ein. Doch davon hält Cribb wenig: „Dafür ist das Thema zu wichtig. Man kann zwar von außen Know-how einkaufen, doch die Verantwortung muss bei einer Person intern verankert sein, die sich voll mit dem Unternehmen identifiziert.“ Neben einem digitalen Manager an der Spitze könnten digitale Beiräte, sogenannte Digital Advisory Boards, eine Lösung sein. „Sie setzen sich aus Experten der Digitalwirtschaft, ergänzt um Entscheider aus den jeweiligen Unternehmen, zusammen“, erklärt Cribb.
Für CDOs sind die Jobaussichten hervorragend. Die Marktforscher von Gartner rechnen damit, dass künftig in jedem vierten Unternehmen ein CDO zu finden sein wird. Ihr Verdienst kann sich sehen lassen: „Da wir hier über eine Vorstands- bzw. Geschäftsführungsposition sprechen, liegt er definitiv im sechsstelligen Bereich“, sagt Oertel.
Wobei es je nach Unternehmen große Unterschiede gibt. Allerdings: Alt dürfte man auf dem Posten nicht werden. Denn er schafft sich selbst ab. Wenn erst einmal alle Unternehmen den Sprung in die digitale Welt geschafft haben, braucht es keinen Chef-Transformator mehr. „Denn dann ist das Thema Digitalisierung oftmals vom CEO zur Chefsache gemacht worden und alle Vorstände und Geschäftsführer der verschiedenen Ressorts sind dafür verantwortlich“, sagt Oertel. Doch damit muss die Karriere nicht enden. Cribb: „CDOs empfehlen sich für andere Aufgaben in der Führungsetage, etwa als CEO.“
Dieser Artikel erschien zuerst am 17. Juni auf vdi-nachrichten.com.