Tobias Ködel ist einer der Pioniere, die in der konzernweiten Initiative Leadership 2020 den Kulturwandel bei Daimler gestalten. Wie das funktioniert, hat er im Februar bei dem Cribb-Event Digital Advisory Board Summit vorgestellt. Im Gespräch mit Senior Consultant Nicole Mai spricht er  über noch mehr Schnelligkeit und Agilität bei Daimler, neue Formen der Zusammenarbeit und was er selbst bei sich verändert hat.

NM: Der Markt, in dem Daimler sich bewegt, verändert sich schon länger auf Grund der Digitalisierung gewaltig. Was genau gab den Anstoß, auch intern das Thema Kulturwandel im großen Umfang anzugehen?

TK: Der Wandel, vor dem wir aktuell gesellschaftlich und wirtschaftlich stehen, betrifft nahezu alle Branchen. In so einer Situation fällt es mir schwer, „extern“ und „intern“ voneinander zu trennen. Externe Veränderungen am Markt sind oft Auslöser dafür, sich selbst – intern – kritisch zu hinterfragen. Die Welt um uns herum, unsere Kunden, Wettbewerber und die eigene Belegschaft, verändern sich, ob wir es wollen, oder nicht. Als Unternehmen müssen wir uns dem öffnen. Die eigene Organisation genau zu verstehen und entsprechend zu steuern, ist dafür Grundvoraussetzung.

Wir wollen so erfolgreich bleiben, wie wir es derzeit sind. Deshalb überprüfen wir, wie wir uns in Zukunft aufstellen – organisatorisch und kulturell. Konkret geht es heute und in Zukunft darum, ob sich unsere Organisationsstruktur schnell und flexibel auf Veränderungen einstellen kann. Das kann heute beispielsweise heißen, im Bereich Digitalisierung neue Tools zu entwickeln oder in einer ganz anderen Organisationseinheit einen komplett neuen Produktentwicklungsprozess aufzubauen. Die Frage, die wir uns stellen, ist nicht nur, ob wir dazu organisatorisch in der Lage sind, sondern auch, ob unsere Kultur zu solchen Arbeitsmodellen passt. Dass bedeutet konkret, dass wir unsere Art der Zusammenarbeit, der Führung und der Entwicklung an vielen Stellen neu definieren. Dabei lernen wir, während wir umsetzen. Wir entwickeln uns als Organisation gemeinsam weiter.

NM: Ein gutes Stichwort. Häufig kämpfen Modelle der Personalentwicklung in großen Organisationen mit sehr statischen Rahmenbedingungen. Entwicklungsschritte einzelner Mitarbeiter dauern oft sehr lange, während eine immer schnellere Entwicklung am Markt nach sehr viel dynamischeren Modellen verlangt. Wie geht ihr damit um?

TK: Aktuell haben wir im Konzern zwei Karrieremöglichkeiten: Die eine ist die eines Fachexperten und die andere ist die eines General Managers. Wir wollen in Zukunft versuchen, da noch einen dritten Bereich hinzuzufügen. Neben der Experten- und Führungslaufbahn, planen wir, die Rolle des Projektmanagers einzuführen. Damit würden wir dann drei gleichwertige, attraktive Entwicklungswege schaffen, die regelmäßige Wechsel unterstützen sollen und für mehr Bewegung sorgen.

Und wie sieht es mit Incentivierungsmodellen aus? Schnelle, projektbezogene Wechsel funktionieren nur, wenn die Führungseben mitspielt. Das scheitert oft nicht zuletzt an der persönlichen Zielvereinbarung des Vorgesetzten.  Transfers reißen erst einmal eine Lücke in der Linienfunktion, auch wenn sie mit Blick auf den Unternehmenserfolg sinnvoll sind. Bosch z.B. hat aus diesem Grund Prämien, die an individuelle Ziele geknüpft sind, abgeschafft. Wie sieht das bei Euch aus?

Wir haben bei Daimler in den letzten Jahren individuelle Ziele in den Vordergrund gerückt. Zukünftig wollen wir verstärkt über Teamziele arbeiten. Dazu soll ein neuer Prozess entstehen, in dem wir den Beitrag des Einzelnen und die Teamleistung mehrmals im Jahr besprechen.

NM: Wie misst man diese „Contributions“ – also Beiträge der Mitarbeiter zum Unternehmenserfolg – objektiv?

TK: Bei Daimler wollen wir das über ein 360-Grad-Feedback einführen, um Rückmeldung geben zu können, wie die Führungsrolle gelebt wird. Es geht in diesem Moment weniger um die Frage „Was für Ziele werden erreicht?“ als vielmehr um die Frage „WIE werden sie erreicht?“. Die Führungsqualität beziehungsweise Führungsqualifikation der Führungskraft wird dadurch enorm aufgewertet.

NM: Gibt es diese Feedback-Kultur so schon länger?

TK: Die Instrumente werden jetzt eingeführt. Wir haben das in ein paar Bereichen schon getestet. Viel wichtiger ist: neue Tools sind nur die halbe Miete. Die Kultur dahinter muss stimmen: Offenheit, Vertrauen, der Wille, sich weiterzuentwickeln. Daran arbeiten wir intensiv.

NM: Kulturveränderung ist nicht immer nur angenehm. Wie gehen die Führungskräfte mit den neuen Entwicklungen um?

TK: Wir haben bei Leadership 2020 von Anfang an auf Beteiligung und Offenheit gesetzt. So ein Veränderungsprozess kann nur funktionieren, wenn er aus der Organisation selbst heraus entsteht. Alle Themen, die wir angehen, kommen direkt aus der Mannschaft. Wir spüren viel Zuspruch und positive Unterstützung.

Wie bei jedem Veränderungsprozess gibt es aber natürlich auch kritische Stimmen. Uns ist wichtig, diesen Kollegen zuzuhören und ihre Impulse aufzunehmen. Wir lernen jeden Tag dazu. Auch das gehört zu einer offenen, agilen Arbeitsweise.

NM: Ihr seid jetzt seit etwas über einem Jahr im Arbeitsprozess. Wo sind die Herausforderungen und was hat am meisten Spaß gemacht?

TK: Spaß macht es durchweg. Es ist faszinierend und inspirierend, eine solche Bewegung bei uns im Unternehmen zu erleben. Natürlich gibt es Widerstände, Hindernisse und Herausforderungen, aber das ist bei jedem Wandel so. Spannend wird es beispielsweise, wenn wir aus unserer agilen Entwicklungs- oder Visionsphase wieder in Konzernstrukturen zurückrutschen. Da gibt es natürlich auch Reibung, aber bislang konnten wir alle Themen klären und lösen. Und solche Reaktionen zeigen doch auch, wie viel Energie und Beteiligung in dem Thema steckt.

NM: Und verstehen Mitarbeiter aus den Ländern wie China oder Japan, die noch einmal komplett unterschiedlich Kulturen haben, diesen neuen Ansatz?

TK: Die Veränderung unserer Gesellschaft ist ein globales Thema und nicht auf einen bestimmten Kulturkreis beschränkt. Unsere Kollegen in Asien stehen vor den gleichen Herausforderungen wie wir. Es ist unsere Aufgabe, Lösungen nicht für Stuttgart zu entwickeln, sondern – passend zum kulturellen Kontext – für alle Standorte.

NM: Wandel ist die größte Konstante. Was war der größte Change-Prozess für dich persönlich?

TK: Ich habe über fünf Jahre hinweg eine systemische Coaching-Ausbildung gemacht. Das war eine tolle Möglichkeit an meiner eigenen Persönlichkeit zu arbeiten. Konfliktmuster zu erkennen, mir über mein Fremd- und Eigenbild klar zu werden, mein eigenes Führungsbild zu definieren. Das war für mich der größte Wandel: Mich selbst besser zu verstehen und mich dem zu öffnen. Davon profitiere ich jetzt gerade enorm. Denn eine erfolgreiche Transformation der Unternehmenskultur beginnt bei jedem persönlich.

NM: Was hast du vorher gemacht?

TK: Ich war vor und während meines Studiums mit HR Schwerpunkt viel in Werbeagenturen unterwegs, habe als Journalist und Moderator gearbeitet. Danach war ich selbstständig. Alles Arbeitsumgebungen, die eher unkonventionell und frei aufgebaut sind. Ich bin dann zu Daimler, einem Großkonzern, gegangen. Das war schon eine andere Welt. Aber es ist toll, jetzt mitzubekommen, dass wir bei Daimler auch die Möglichkeit haben, Dinge auszuprobieren und Dinge anders zu machen.

Über Tobias Ködel

Tobias Ködel, Head of Leadership 2020, Daimler AG

„Change the game“ lautet das Motto unter dem die Daimler AG seit Anfang 2016 ihre Führungs- und Unternehmenskultur neu erfindet. Wer Change sagt, muss auch Change liefern. Tobias Ködel und sein Team sind mitverantwortlich dafür, neue Arbeitsformen und Organisationsstrukturen sowie Kommunikations- und Veränderungskonzepte für den weltweit aufgestellten Autobauer zu entwickeln. Mut, Innovationskraft, politisches Feingefühl und ein Gespür für Menschen sind für ihn Schlüsselfaktoren in Veränderungsprozessen. Dabei greift er auf eine über 15-jährige Erfahrung in unterschiedlichen Kommunikations- und HR Funktionen zurück. Seit 2009 arbeitet er bei Daimler. In den letzten Jahren verstärkt in der Leitung interdisziplinärer agiler Projekte.