Los ging es mit einem Dreiklang aus Wissenschaft, Wirtschaft und Philosophie: Prof. Dr. Sabine Remdisch von der Leuphana Universität und Projektleiterin der Leadership Garage Stanford stellte ihre Forschungsergebnisse aus dem Silicon Valley vor. Anhand vieler Praxisbeispiele veranschaulichte sie den Status quo der Digitalisierung in den USA versus Europa und erläuterte, welche Kompetenzen Führungskräfte haben müssen, um in digitalen Zeiten zu führen. Ihrer Schlussfolgerung nach sind zukünftige Leader vor allem eines: Netzwerker, Storyteller und Coches. Um die eigene digitale Führungskompetenz zu messen, entwickelte sie einen Online Self Assessment Test. Auf wenig Verständnis bei ihren Valley-Kollegen traf sie hinsichtlich ihrer Studien, ob die Digitalisierung Menschen auch krank machen könne. Alleine die Fragestellung sei „typisch deutsch“, so habe der digitale Wandel doch zu Reichtum und Arbeitsplätzen geführt. Sind die Roboter, die bald die Macht übernehmen also nur Angstmacherei und ein deutsches Medienphänomen?

Strippenzieher, Märchenerzähler und Betreuer

Wohl kaum! Dieser Ansicht war Richard David Precht, Philosoph, Publizist und Bühnenliebling. Anhand der drei technischen Revolutionen (Dampfmaschine, Fließband, Computer) legte er dar, warum die jetzige, vierte Revolution nicht zu mehr Beschäftigung und damit mehr Arbeitsplätzen führe. Sie mache bestehende Märkte effizienter, schaffe aber keine neuen Wachstumsmärkte. In der Theorie sei sie eine Befreiung der Menschen von der Last der Arbeit – jedoch nur mit positiven Folgen, wenn ein neues Steuersystem eingeführt würde. Die Besteuerung von Arbeit sei in Zeiten der Digitalisierung obsolet, vielmehr solle eine Finanzsteuer auf Transaktionen eingeführt werden, mit der ein bedingungsloses Grundeinkommen ermöglicht werde. Dies brauche es nämlich für den Part der Gesellschaft, der nicht zu den „Strippenziehern, Märchenerzählern und Betreuern“ (seine Auslegung der neuen Leader) gehöre und deren Arbeit nun von Robotern ausgeführt würde. Aktuelle Bestrebungen der Politik, das Steuersystem umzustellen, glichen einer „Umdekorierung der Liegestühle auf der Titanic.“ Dies sei seiner Meinung nach das Grundproblem: Die fehlende Vernetzung zwischen politischen und wirtschaftlichen Gedanken. Denn das Ausmaß sei vielen Politikern nicht bewusst. Europa wird zu den Profiteuren der Digitalisierung gehören – die Dritte Welt wird der Verlierer sein. Und was passiert, wenn ganze Kontinente eine sogenannte „useless class“ bevölkert? Völkerwanderungen mit dem Ziel Europa werden die Folge sein. Mit der jetzigen Einstellung könne die Politik gar nicht rechtzeitig reagieren – jedoch hat Precht die Hoffnung noch nicht aufgegeben und meint „wir schaffen das“.

Die Frage nach dem Sinn

Ähnliche dystopische Szenarien zeichnete Prof. Andreas Syska auf, der Produktionsmanagement an der Hochschule Niederrhein lehrt und vor einer Zweiklassengesellschaft in der Produktion warnt. Industrie 4.0 sei das Ende der Mitarbeiterentwicklung, da der Mensch am Ende und nicht am Anfang einer IoT-basierten Wertschöpfungskette stünde. Ganz oben: die Roboter. Anders würde das Ganze aussehen, wenn der Roboter dem Arbeiter gehörte oder der hieraus resultierende Effizienzgewinn gerecht verteilt würde. Zudem könnten sich Führungskräfte dank „Management by Flachbildschirm“ wunderbar hinter ihren Computern verstecken, zumal Maschinen keine Führung bräuchten. Sein Plädoyer: Wir müssen eine Vision entwickeln und uns die Frage beantworten, wie Arbeit in Zukunft aussehen soll.

Doch nicht nur die Philosophen und Systemtheoretiker kamen zur Sprache, auch Firmen wie Burda Forward, Haufe Umantis, die Puls Group, IBM und Zalando gaben Einblicke in die gelebte Digitalisierung in ihren Unternehmen. Oliver Eckart, CEO bei Burda Forward plädierte für zwei Betriebssysteme und meint damit die Trennung zwischen dem Alten (Print) und dem Neuen (Digital). Nur unabhängig könne sich aus einer Digital-Einheit ein eigener Profit Center entwickeln. Zudem solle man auf flache Hierarchien mit Netzwerkstrukturen setzen und vor allem eines: Sinn („purpose“) geben. Denn nur, wenn Sinn und Werte klar definiert sind, kann ein Arbeiten in freien Netzwerkstrukturen funktionieren. Ob`s selbst klappt, überprüft Burda mit seinem eigenen Stimmungsbarometer, dem „Moodometer“, was häufig zu einer „harten Abrechnung mit der Führung“ führe.

Eine Feedback-Kultur ist auch für Haufe Umantis und deren „Evangelisten“ Stephan Grabmeier elementar. Auch er ist ein Verfechter klarer Regeln, damit Selbstorganisation funktionieren kann und führte als Beispiel den Straßenverkehr an – ein weltweit funktionierendes autonomes System. Zudem stellte er fest, dass erfolgreiche Veränderung nur dreidimensional funktionieren könne – nämlich aus dem Dreiklang Design der Organisation, Technologie als Infrastruktur und Verhaltensänderung und Befähigung. Nur wenn diese drei Bereiche miteinander vernetzt werden, könne ein Wandel herbeigeführt werden.

Unternehmenskultur als Wettbewerbsvorteil

Auch bei Zalando ging es um Veränderung – nämlich die der eigenen Kultur. Frauke von Polier, SVP People, stellte die Strategien vor, mit denen Zalando an der Mitarbeiterzufriedenheit arbeitet. Die lag 2014 im Argen – nach außen hin wurde Zalando für seinen ersten Bilanzgewinn gefeiert, nach innen zeigte sich jedoch ein anderes Bild. Mittlerweile war das Startup zu einem großen Unternehmen gewachsen und hatte damit auch den Vorteil eines Startups verloren – den engen Draht zu den Gründern. Zalando führte daraufhin die zTalks ein, bei denen jeden Freitagnachmittag der Vorstand seinen Mitarbeitern Rede und Antwort stand. Ein offenerer Austausch auch mit den direkten Vorgesetzen war die Folge. Im nächsten Schritt wurde an der Feedback-Kultur gearbeitet und ein neuer Unternehmenszweck mit Hilfe von Design Thinking erarbeitet. Ähnlich wie bei der Customer Journey wurde der Weg des Mitarbeiters und seine „Moments of Truth“ analysiert. Daraus entstanden Tools wie ein Methoden-Köfferchen für Führungskräfte oder die Nutzung von VR-Brillen, mit der Mitarbeiter an Kalibrierungsrunden teilnehmen können. Die neueste Entwicklung ist ein digitales Storytelling-Tool, mit dem die Unternehmenswerte aktiv gelebt werden können. Mehr sei an dieser Stelle noch nicht verraten.

Manchmal kann Rock n Roll auch hilfreich sein – dieser Ansicht ist Tanja Friedrichs, VP HR bei der Puls Group. Sie hat in ihrem mittelständischen Unternehmen komplett auf den New Work-Ansatz gesetzt und damit auch gegen Widerstände gekämpft. Das Intranet wurde durch ein digitales Social Collaboration Tool ersetzt und das neue Bürogebäude vom Google-Architekten „ähnlich einem Gallischen Dorf“ gebaut. Wichtigste Erkenntnis bei der Vorab-Recherche: mehr als 50 Prozent der Mitarbeiter arbeitet gar nicht regelmäßig an einem festen Schreibtisch. Trotzdem wollte Friedrichs allen Mitarbeitern „ein Zuhause geben“ und entschied sich gegen eine Shared Desk Solution. Mit Erfolg: 2016 wurde Puls mit dem HR Excellence Award ausgezeichnet und seit Februar 2017 arbeiten die Mitarbeiter zufrieden in ihren neuen Räumlichkeiten.

Dass Maschinen die Menschen überholen werden, machte der abschließende Vortrag von IBM noch mal deutlich. Schon vorab wurde die These aufgestellt, dass in 2045 ein Computer so schlau sein würde, wie die Gehirne der gesamten Menscheheit zusammen. Möglich mache dies Augmentet Intelligence. In der Vergangenheit waren 80 Prozent der Daten unstrukturiert (“dark data”) und somit unbrauchbar. Mittlerweile können 100 Prozent der Daten ausgelesen werden. Der Super-Computer Watson war übrigens ein Geschenk von IBM zum 100jährigen Jubiläum an sich selbst. Wer weiß, was es dann zum 150 Jubiläum gibt? Roboter mit menschlichen Emotionen?!