Als eine der wenigen Industrial Design Thinking-Experten hat Bettina Maisch in Deutschland die Aufgabe, den Siemens Ingenieuren den Design Thinking (DT)-Ansatz näher zu bringen. Mit ihrem Team vermittelt sie die Grundlagen des Innovatinsansatzes, bietet Workshops an und arbeitet in cross-funktionalen, internationalen Teams an konkreten Entwicklungsprojekten. Im Gespräch mit Nicole Mai erläutert sie, warum DT für sie keine Rocket Science ist. Ihrer Meinung nach liegt die größere Herausforderung in der richtigen Organisationsstruktur, um den Ansatz erfolgreich in einem multinationalen Konzern anzuwenden. Privat verzweifelt sie mittlerweile manchmal an schlecht designten Produkten und Dienstleistungen und versucht auch hier mit dem Kundenzentrierungs-Gedanken zu evangelisieren.
Design Thinking – das Buzzword in 2016 – was bedeutet dieser neue Denk-/und Innovationsansatz genau für Unternehmen wie Siemens? Wie nutzt Ihr ihn?
Design Thinking bedeutet für uns, dass wir im Kontext einer bestimmten Aufgabe erst an die beteiligten Menschen denken und die Technik so verstehen, dass sie uns Lösungen ermöglicht, aber kein Selbstzweck ist.
Unsere Abteilung hat die Aufgabe, internen Siemens-Teams das Verständnis, die Haltung, den Prozess und die Methoden, die hinter Design Thinking stehen, zu vermitteln und sie mit Rat und Tat zu unterstützen. Wir vermitteln also die theoretischen Grundlagen, zeigen Beispiele und arbeiten mit den Teams an ihren Projekten. Wir gehen mit zu ihren Kunden, um durch Beobachtungen und Interviews deren Bedürfnisse zu verstehen. Dann identifizieren wir gemeinsam Ideen für neuartige Lösungen, visualisieren, bauen und testen diese.
Bei Siemens setzen wir Design Thinking jedoch nicht nur für externe Projekte ein, sondern verstärkt auch intern. Gerade bei der Digitalen Transformation, wo z.B. Entwicklungsteams agil und schlank handeln sollen – jedoch der organisationale Rahmen nicht entsprechend angepasst wurde.
Wie ändert es die Unternehmenskultur?
Ich kann jetzt nicht von der Kultur von ganz Siemens sprechen, sondern nur von dem Umfeld, das ich kenne. Design Thinking ist zunächst eine gedankliche Haltung, die den Menschen, seine Bedürfnisse und Motivationen, ins Zentrum aller Überlegungen und Handlungen stellt. Ich habe miterlebt, dass sich dadurch die Kommunikations- und Arbeitskultur verändert, und zwar innerhalb der Teams, zu Kollegen anderer Abteilungen und zu den Kunden.
Design Thinking ist vom Machen geprägt und müsste eigentlich Design Doing heißen. Beispiele hierfür sind, dass Kollegen aktiver neue Methoden und Werkzeuge ausprobieren, sich eine DT Arbeitsecke einrichten oder sich aktiv engagieren, anderen DT zu vermitteln und sie unterstützen.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang für Dich Industrial Design Thinking? Wo ist der Unterschied zum allgemeinen Verständnis von “Design Thinking”?
Unsere Abteilung verwendet den Begriff „Industrial“, um deutlich zu machen, dass wir den Ansatz in dem für Siemens relevanten Business to Business Kontext anwenden. Dies war wichtig, da viele unserer Kollegen das Vorurteil hatten, DT ist primär für B2C, d.h. Endkonsumentenprojekte geeignet, wie z.B. das Telefon für Apple.
Wir wollten zum einen den Hype um den Begriff Design Thinking nutzen – ein moderner, stringenter Innovationsansatz der auch mit Kundenzentrierung, Agilität und Kreativität assoziiert wird.
Zum anderen mussten wir deutlich machen, dass dieser Ansatz für die Rahmenbedingungen von Siemens adaptiert wurde. Siemens – ein multinationaler B2B Technologiekonzern mit einer langen und erfolgreichen Ingenieurstradition.
Die Industrie-Umgebung ist sehr viel komplexer, so haben wir es mit vielen Bezugsgruppen zu tun, die in einem Projekt beachtet werden müssen, wie z.B. wer nutzt unser Produkt oder Service um welche Aufgabe auszuführen, wer trifft die Kaufentscheidung, wer beeinflusst diese, und natürlich auch wer sind die Kunden unserer Kunden. Wie z.B. bei einem Projekt im Kontext Energiegewinnung. Wir haben uns nicht nur die Käufer-, Nutzer- und das Servicepersonal einer Gasturbine angesehen, sondern auch sehr genau analysiert, wie das Energieverhalten der Endnutzer in der jeweiligen Region war.
Wie gehen Ingenieure damit um?
Viele sind erst mal neugierig und offen und möchten mehr über Design Thinking erfahren. Sie fragen aktiv nach Workshops und Trainings und nutzen auch Möglichkeiten anderer Anbieter, sich in diesem Bereich weiterzubilden. Siemens weiter zu bringen und kundenorientiert zu handeln ist den meisten ja auch wichtig. Wir stellen jedoch fest, dass einige Kollegen weniger motiviert oder in der Lage sind, die grundlegenden Elemente von Design Thinking im täglichen Arbeiten auch anzuwenden. Design Thinking ist keine Rocket-Science – den Ansatz jedoch gewinnbringend umzusetzen bedarf Ressourcen und einigen Änderungen im organisationalen Rahmen. Diese Bedingungen sind nicht immer gegeben.
Welchen Mehrwert hat es?
Kundenbedürfnisse zu verstehen, das ist die Grundlage, um Produkte oder Services zu entwickeln, die sich später auch verkaufen und uns Gewinn bringen. Technologie allein bringt keinen Mehrwert, sondern nur deren Anwendung. Der methodische Ansatz hilft zudem, dass Teams kreativer arbeiten und in iterativen Schritten ungewöhnliche, neue und innovative Lösungsansätze entwickeln. Das ermöglicht uns, im Innovationsprozess schnell zu scheitern, und nicht erst, nachdem wir viel Geld verbrannt haben.
Was hat der Denkansatz bei Dir persönlich verändert?
Ich bin ich als Kunde oder Konsument immer weniger bereit, schlecht gestaltete Produkte und Services zu akzeptieren. Ich diskutiere mit den Leuten, das sie etwas ändern sollten und warum, wenn Services nicht funktionieren oder sogar ärgerlich sind.
Was wünscht Du Dir für die Zukunft bei Siemens?
Ich bin ein Überzeugungstäter. Also wünsche ich mir, dass jeder Siemens-Entwickler den Menschen in den Mittelpunkt stellt und als Mitarbeiter das methodische Handwerkszeug von Design Thinking vermittelt bekommt. Das soll ein Teil unserer DNA werden.
Dr. Bettina Maisch hat Kommunikationswissenschaften und Electronic Business im Doppelstudium mit jeweils dem Master an der Hochschule der Künste in Berlin abgeschlossen und zu partizipativer Kommunikation am Beispiel Facebook an der Universität St. Gallen promoviert. In Stanford forschte sie zum Industrial Design Thinking Ansatz, bevor sie für ein DT Projekt für Siemens nach China ging. Heute ist sie bei Siemens in München als Key Expert Consultant mit ihrem Team für die Einführung des Design Thinkings im Innovationsprozess verantwortlich. Sie ist Gastdozentin an der Hochschule St. Gallen und hat bereits verschiedene wissentschaftliche Arbeiten zum Thema u.a. zusammen mit Prof. Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, publiziert.
Das Interview führte Nicole Mai, Senior Executive Search Consultant bei Cribb.