Terroristen, die Atomkraftwerke kapern, Flughäfen lahm legen oder Staudämme manipulieren – und dies dank des Internets. Was wie Zukunftsszenarien der Kriegsführung klingt, ist laut Verteidigungsministerium keine Fiktion mehr, sondern Realität. Daher rüstet die Bundesregierung sich gegen Attacken aus dem Netz und hat am 5. April das Kommando Cyber- und Informationsraum in den Dienst gestellt. Bisher arbeiten dort 260 Personen, im Juli sollen es dann schon 13.500 Cyber-Soldaten sein. Auch der Bundesnachrichtendienst sucht händeringend nach IT-Spezialisten – findet aber keine wie die Süddeutsche Zeitung jüngst mit „Kein Hacker will zum BND” titelte. Kreative Stellenausschreibungen wie „Sherlock Holmes im Cyberspace“ führten eher zur Belustigung unter Hackern als zu neuen Mitarbeitern.
Bürokratieabbau im Fokus
Vielleicht lohnt ein Blick über den großen Teich, wo das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten von Amerika (DoD) vor einem ähnlichen Problem stand. Auch hier wird die nationale Sicherheit täglich von Gegnern bedroht, die sich kreative und agile Methoden zunutze machen: Cyber-Terroristen geben ihre Designs per Crowdsourcing in Auftrag und beschaffen sich die Materialien über eBay, während das DoD mit traditionellen Auftragnehmern zusammen arbeitete und durch monate- teilweise jahrelange Genehmigungs- und Beschaffungszyklen in nicht schnell genug reagieren konnte. Mittlerweile investiert das DoD mehr in Forschung & Entwicklung, als Facebook, Google und Disney zusammen.
Lean Startup-Methode als Lösung
Auf der Suche nach Lösungen, wie die DoD-Prozesse beschleunigt werden können, stieß das Militär während des Irak- und Afghanistan-Kriegs auf die Lean-Startup-Methode. Mit einem geringen Budget und innerhalb von 90 Tagen wurde eine Lösung entwickelt, um Höhlen, in denen sich Taliban-Kämpfer versteckten oder die vermint waren, zu räumen. Anstelle von US-Soldaten wurden Roboter eingesetzt, so dass weniger US-Soldaten bei den Einsätzen ums Leben kamen. Damit war die „Rapid Equipping Force (REF)“ geboren. Erstmalig arbeitete das Militär mit zivilen Experten zusammen, die direkt im Einsatz und aus Sicht der Soldaten Lösungen entwickelten, für die keine 100-seitigen Antragsformulare ausgefüllt werden mussten, und auf deren Freigabe nicht Jahre gewartet werden musste.
Hackathons für Elite-Studenten
2013 gab es erste Berührungspunkte zum Silicon Valley, als der damalige Leiter der REF Peter Newell sich aus dem Militärdienst zurück zog und gemeinsam mit dem ehemaligen Offizier und Stanford PhD Joe Felter das BMNT* gründete. Gemeinsam mit der Universität Stanford und dem Startup-Guru Steve Blank begannen sie im Frühjahr 2016 unter dem Namen „Hacking for Defense (H4D)“ Hackathons zu organisieren. Das Ziel: Die Innovationskraft des Silicon Valleys und das Wissen der Top-Wissenschaftler zu nutzen, um Lösungen für nationale Sicherheitsprobleme zu entwickeln. Nur ein Jahr später wird H4D bereits an zahlreichen Universitäten wie Stanford, UC San Diego oder Georgetown University unterrichtet.
Krieg statt Film
Vorgestellt wurde das Programm auch durch ein anschauliches Beispiel des BMNT auf der SXSW 2017. Gezeigt wurde eine Software-Lösung, die die Daten von Sonden visualisiert, die in den Meeresböden der Weltmeere verteilt sind. Bisher war das Militär nicht in der Lage, das Datenvolumen sinnvoll aufzubereiten und zu nutzen. Mit Hilfe von Kreativen aus der Filmbranche, die normalerweise Interface Designs für Marvel Filme entwickeln, und Stanford PhD-Aspiranten wurde eine Lösung entwickelt, die es dem Militär erlaubt, per Knopfdruck alle Schiffe, die sich in Echtzeit auf den Weltmeeren befinden – ob fahrend oder liegend im Hafen, inklusive Benzinstand und Anzahl der Bordbesatzung – zu sehen. Minority Report lässt grüßen.
Imagepluspunkte sammeln
Um die Geheimhaltung zu garantieren und einen möglichen Missbrauch des Wissens durch die Programmteilnehmer zu verhindern, wird nie an den echten Problemen gearbeitet. Es werden immer Analogien aus der Privatwirtschaft herangezogen, die sich später auf die militärischen Probleme projizieren lassen. Auch die Frage aus dem Publikum, ob die Teilnehmer kein ethisches Problem damit hätten, neue Technologien für die Kriegsführung zu entwickeln, wurde mit dem Hinweis auf den Patriotismus entkräftet. Die Möglichkeit, etwas für das Gemeinwohl und die Sicherheit ihres Landes zu tun, ist für viele reizvoller, als für Google, Facebook & Co. zu arbeiten.
Bleibt abzuwarten, ob das deutsche Verteidigungsministerium, der BND und die Bundeswehruniversität mit ihrem neuen Masterstudiengang und dem „CyberInnovations-Hub“ ähnliche Anziehungskraft entwickeln werden, um gleichauf mit den USA zu ziehen. Solange der Einsatz für Geheimdienste unter Hackern noch als Arbeit für die „Stasi 2.0“ verpönt wird, bleibt noch viel Image-Arbeit zu leisten.
* Erläuterung zur Namensgebung: Begin Morning Nautical Twilight. Before the sun even breaks the horizon, silhouettes begin to form. This quiet, normally tranquil time has been the preferred time of attack since at least the French and Indian War. It is simultaneously the time of greatest danger for defenders and greatest opportunity for attackers. The same situation. But depending on your place in it, a drastically different perspective. We change perspectives, taking problems and making them opportunities.